Ein großer Teil der Verfremdung in Bertolt Brechts epischem Theater besteht darin, mit der Illusion einer „in Stein gemeißelten” Handlung zu brechen. Wir sollen erkennen, dass die Menschen auf der Bühne nicht unveränderbar sind oder hilflos ihrem Schicksal überlassen – sondern dass es immer auch einen Handlungsspielraum gibt, für alle Beteiligten. Man soll als Zuschauerin oder Zuschauer nicht bloß sehen und absorbieren, was in einem Stück passiert, sondern ebenso erkennen, dass man stets auch selbst betroffen ist.
Es ergibt sich eine Wechselwirkung zwischen Publikum und Handlung. Beide Seiten sind wichtig, beide Seiten sind notwendig. Mein Ziel ist es, diese Wechselwirkung einzufangen und das Publikum in dieser Rolle sich selbst zu zeigen. Hierfür habe ich das Publikum auf die Straße gesetzt und es verschiedenen Szenen ausgesetzt, die im Stück thematisch präsent sind. Die Thematiken aus dem Stück werden auf die Straße geholt in einer Form, wie wir sie im Alltag antreffen.
Verfremdung kann aufzeigen, wie Menschen sein können, wie die äußeren Verhältnisse sein können und insbesondere, wie diese beiden Aspekte miteinander zusammenhängen. Die Handlung der Dreigroschenoper kommentiert reale und noch immer aktuelle Missstände und zwingt uns dabei auf eine sehr emotionale Reise, mit welcher wir uns jedoch aktiv auseinandersetzen können. Die Plakatserie setzt sich damit auseinander, wie wir diese Eindrücke auf uns und unser Handeln übertragen, was wir aus dieser Erfahrung mitnehmen, wenn wir das Theater wieder verlassen – und was wir vielleicht sehen, wenn wir das nächste Mal durch die Fußgängerzone laufen.
Der Umgang mit den Frauen der Dreigroschenoper ist ein schwieriges Thema und hat gewiss auch viel mit dem Frauenbild von Bertolt Brecht zu tun.
Viel schroffe Behandlung, viel Objektifizierung.
Dies ist eine Bildwelt, der wir als Zuschauende im Verlauf des Stückes immer wieder ausgesetzt sind. Gleichzeitig ist dies ebenfalls ein Thema, dem wir alle in unserem Alltag immer wieder ausgesetzt sind.
Jonathan Jeremiah Peachum betreibt die Firma „Bettlers Freund“, welche professionelle Bettler mit alten Lumpen und Requisiten ausstattet, um das Mitleid von Passant:innen erregen zu können:
ein ausgebautes Businessmodell.
Was bedeutet das für unseren Umgang mit
„Bettlern“ oder Obdachlosen außerhalb der Bühne? Darstellungen wie in Brechts Stück laden durchaus ein zu Misstrauen und Zynismus – wie gehen wir als Publikum mit einem solchen Menschenbild um?
Das Verbrechen in der Dreigroschenoper ist durchgängig unterschwellig präsent. Sei es durch Erzählungen von Mackie Messer, wie er raubt, schändet und rechtfertigt – sich damit rühmt, ein Waisenhaus eigenhändig in Brand gesteckt zu haben.
Ähnlich dem Thema der Obdachlosigkeit sind die Gründe für Verbrechen in der Realität weitaus facettenreicher, mitunter verzweifelter. Es wird nicht geraubt weil man „nun mal ein Schlitzohr“ oder mit dem Polizeichef befreundet ist, sondern mitunter aus Not oder Ausweglosigkeit.